|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Die
Briten Skurril, liebenswert und freiheitsliebend Ein
persönlicher Rückblick zum besseren Verständnis
unserer britischen Freunde Unveröffentlichter
Leserbrief, Januar 2017 Das Jahr 2016 bescherte Europa einige Überraschungen. Der Brexit war eine davon. Schenkt man den offiziellen Zahlen Glauben, dann haben 51,9 Prozent der Briten für den Austritt Großbritanniens aus der EU gestimmt und 48,1 Prozent dagegen. Die beiden Lager der Befürworter und Gegner lägen somit nicht sehr weit auseinander. Doch nur diejenigen, die die Seele der Briten nicht kennen, werden sich leichtfertig mit diesen Zahlen zufrieden geben. Die Briten haben sich nie in der EU wohlgefühlt. Das steckt in ihrer „natürlichen DNA“. Genauso wenig wie die meisten Deutschen sich ohne Weiteres von der eigenen Sprache verabschieden können, um sich dann in einer x-beliebigen fremden Sprache fehlerfrei fließend zu unterhalten, können sich die Briten der historisch gewachsenen geistigen Strukturen entledigen, die über Jahrhunderte ihr Selbstverständnis geprägt haben. Wer die Briten richtig kennt, weiß, dass die Gruppe derer, die einen Austritt aus der EU sehnsüchtig herbeiwünschte – ja, natürlicherweise herbeiwünschen musste - wesentlich größer war als die offiziellen Zahlen des zurückliegenden Referendums vermuten lassen. Ermutigt durch unser „postfaktisches Zeitalter“ begann ich daher
in der Folgezeit meine eigenen Zahlen zu erheben, die selbstverständlich
nicht wissenschaftlich oder statistisch abgesichert sind. Ich verlasse mich
hier auf meine Jahrzehnte langen persönlichen Erfahrungen mit den Briten.
Mein Bauchgefühl sagte mir zunächst sehr spontan, dass mindestens Zweidrittel
der britischen Bevölkerung einen Austritt aus der EU als etwas Positives
empfinden mussten. Als ich mir klar machte, dass Zweidrittel lediglich 66,
666… Prozent sind, korrigierte ich meine erste Annahme nach oben. Ich
behaupte nun, dass der Anteil der Briten, die dem Brexit gefühlsmäßig etwas
Positives abgewinnen können, deutlich über 70 Prozent liegt. (1) Nun werden sich viele fragen: „Warum spiegelt sich diese Haltung
nicht im Ergebnis des Referendums wider.“ Um dies zu begreifen, muss man
wissen, dass die Briten schon immer sehr vernunftgesteuerte Menschen waren.
Es war die Vernunft, die die Briten einst in die EU geleitet hatte. Die
Briten taten dies aus rationalen wirtschaftlichen Überlegungen und nicht,
weil sie von Haus aus überzeugte Europäer waren. Mit dem inneren Widerspruch,
der sich hieraus ergab, leben die Briten nun bereits seit weit mehr als 40
Jahren. Wer die Briten gut kennt, weiß, dass sie diesen Widerspruch
regelrecht ertragen haben. Dies ist schwer verständlich, insbesondere für
Bürger einer Nation, die nach dem Zweiten Weltkrieg sich danach sehnen
mussten, wieder in der europäischen Völkergemeinschaft willkommen geheißen zu
werden, um dort ein neues Selbstverständnis zu erlangen. David Cameron hat mit seiner Entscheidung für ein Referendum die
britische Bevölkerung förmlich genötigt, sich erneut öffentlich mit dem
Widerspruch auseinanderzusetzen, der die britische Nation seit Eintritt in
die EU nicht losgelassen hat. Bei der Entscheidungsfindung wurde der einzelne
britische Wähler wie bei einem mittelalterlichen Moralitäten-Schauspiel quasi
in die Rolle der zentralen Figur gedrängt, auf die gleichermaßen die
allegorischen Kräfte der wirtschaftlichen Vernunft und des unbändigen
britischen Dranges nach Unabhängigkeit einwirkten. Zwei Kräfte, die unter den
gegenwärtigen britischen Bedingungsgefüge nur äußerst schwer miteinander in
Einklag gebracht werden können. An dieser Stelle wage ich nun eine zweite Behauptung, bei der
ich mir allerdings hinsichtlich der absoluten Zahlen nicht ganz so sicher
bin, wie bei meiner ersten: Wenn man die Anzahl der überzeugten britischen
EU-Befürworter mit denen der britischen EU-Gegner addiert, die aus Gründen
der wirtschaftlichen Vernunft in der EU bleiben wollten, erhält man meiner
Meinung nach einen Wert, der deutlich über 50 Prozent liegt und zu Gunsten
der EU ausfällt. Ich schätze die Anzahl der vernunftorientierten Briten so
hoch ein, dass ich für beide Gruppen zusammengenommen einen Wert zwischen 55
und 65 Prozent für durchaus realistisch halte. Wie konnte es dann aber zu einem solchen Ausgang des Referendums
kommen? In der aufgeheizten Stimmung des Referendums, im Wechselbad der
Gefühle zwischen wirtschaftlicher Vernunft und natürlichem britischen Drang
nach Unabhängigkeit, haben sich zu viele der vernunftorientierten Engländer,
die sich nie so recht in der EU wohlgefühlt hatten, schlicht und ergreifend
„verzockt“. Ihnen war sicherlich daran gelegen, ein Ergebnis des Referendums
zu Gunsten der EU so knapp wie möglich ausgehen zu lassen. So orientierten
sie sich bei ihrer Wahlentscheidung an den Prognosen, die unmittelbar vor dem
Referendum veröffentlicht wurden.
Bedauerlicherweise ist ihre Rechnung nicht aufgegangen. Nun müssen wir alle
mit dem Ergebnis leben und versuchen, dass Beste daraus zu machen. Betrachten wir hier noch den Sonderfall Schottland. Die Schotten
sind durch und durch Briten, auch wenn sie sich von ihren angelsächsischen
Nachbarn mit einer größeren Vehemenz absetzen als die Bayern von
Restdeutschland. Das Referendum zu Schottlands Unabhängigkeit liegt noch
nicht lange zurück. Bei diesem Referendum durchlebten die Schotten die
gleichen Leiden, denen die Engländer erst zwei Jahre später ausgesetzt sein
sollten. Auch die Schotten mussten sich dabei entscheiden, ob sie ihrem
Herzen folgen wollten oder der wirtschaftlichen Vernunft. Sie folgten mit
einer nicht gerade überwältigenden Mehrheit von 55 Prozent der
wirtschaftlichen Vernunft. Nachdem sie sich einmal entschieden hatten, der
ökonomischen Vernunft zu folgen, hätte es wenig Sinn gemacht, zwei Jahre
danach ihre Vernunftentscheidung wieder rückgängig zu machen, um für einen
Brexit zu stimmen. Das hätte die Schotten auch auf eine Art und Weise an die
Engländer gebunden, die aus ihrer Sicht ganz und gar nicht vorteilhaft
gewesen wäre. Eine zu enge Bindung an die EU ist für sie jedoch auch nicht
die Lösung. Die Situation bleibt vertrackt. Ich bin davon überzeugt, dass kurz nach dem Referendum vom 23.
Juni 2016 die Brexit-Befürworter und Brexit-Gegner seelisch für einige Zeit
wieder vereint waren in der Hoffnung, dass der Brexit keine allzu großen
negativen wirtschaftlichen Auswirkungen für Großbritannien haben wird. Den
Briten ist ihre Unabhängigkeit sehr viel wert, und sie sind auch durchaus
bereit dafür einen Preis zu zahlen. Allerdings gibt es da auch Grenzen, denn
am Ende stellt sich wie immer die Frage, wer innerhalb der Gesellschaft den
eigentlichen Preis zu zahlen hat. Und hier liegt meiner Meinung die
eigentliche Krux der kommenden Jahre. Es gibt in Großbritannien ein in der
deutschen Öffentlichkeit wenig beachtetes gesellschaftliches Problem, dessen
mögliche Auswirkungen für Großbritannien und für das deutsch-britische
Verhältnis nur schwer einschätzbar sind. Aber das ist ein anderes Thema. Ein
weiteres Thema sind auch die deutsch-britischen Beziehungen selbst. Hier ist
allemal zu bedenken, dass die Briten häufig Brüssel und die EU sagen, jedoch
Berlin und Deutschland meinen. Bei der komplexen Lage kann ich nur jedem verantwortungsbewussten
Deutschen raten, genauer hinzuschauen und die Briten mit dem gleichen
Verständnis und dem gleichen Fingerspitzengefühl zu behandeln, mit dem sie
einst in schweren Tagen Deutschland und die Deutschen behandelt haben. Die
Briten stehen uns bei aller Andersartigkeit sehr viel näher als viele andere
Nation. (1)
Mein
Bauchgefühl wurde mehr oder weniger bestätigt durch die Zahlen von Prof. Matthew
Goodwin im
letzten Teil (ab 45 Minuten) des youtube videos: https://www.youtube.com/watch?v=cfAKL7BeXxA (veröffentlicht 04.05.17) Rainer
Triller - Januar 2017 www.satirebonn.com |
Der
deutsche Elefant im Brexit-Raum
Reichskanzler
Otto von Bismarck und der
britische Premierminister Benjamin
Disraeli Bildquelle + bessere Auflösung: Hier klicken:
Bundeskanzler
Helmut Kohl und Premierminister Tony Blair Bildquelle + bessere Auflösung: Hier klicken: http://www.deuframat.de/fileadmin/_processed_/csm_abb5_gr_05_06ef211df6.png „The elephant
in the room“ ist eine englische Redensart,
mit der man ein Problem bezeichnet, das allseits bekannt ist, aber niemand
anspricht. Wenn man das ganze Geschehen um den Brexit betrachtet, so könnte
man den Eindruck bekommen, dass das alles nicht viel mit Deutschland zu tun
hat. Dabei ist das ambivalente Verhältnis, das die Briten zu Deutschland
haben, mit ein wesentlicher Grund, warum die britische Nation sich so
unbarmherzig in den Brexit getrieben hat. Nun mögen viele diese Zeilen
ungläubig lesen, denn schließlich hört man von niemandem, der Deutschland für
den Brexit verantwortlich macht. Nicht einmal die Briten selbst scheinen so
einen abwegigen Gedanken zu äußern. Aber die Dinge sind wieder einmal
vertrackter, als man denkt. Um dies zu verstehen, muss man tiefer in
die Psyche der britischen Nation eindringen. Um Missverständnisse zu vermeiden, muss hier vorweg betont
werden, dass bei den folgenden Betrachtungen die konkreten freundschaftlichen
Beziehungen, die die Briten und Deutschen seit langem miteinander pflegen,
nicht in Frage gestellt werden. Diese direkten, persönlichen Beziehungen auf
den unterschiedlichsten Ebenen sind weiterhin ungetrübt. Davon kann sich
jeder selbst überzeugen, der nach Großbritannien fährt oder auch anderswo mit
Briten ins Gespäch kommt. Entscheidend ist hier vielmehr, wie die britische
Bevölkerung Deutschland als nationalstaatliches Gebilde und als politischen
und wirtschaftlichen Faktor wahrnimmt. Das Empfinden, das aus dieser
Wahrnehmung resultiert, schlägt sich zwangsläufig in den nationalen
Entscheidungen der Briten nieder. Wenn man die tiefenpsychologischen Strukturen der britischen
Sicht auf Deutschland begreifen will, dann kommt man nicht umhin, sich
wichtige geschichtliche Entwicklungen und Ereignisse der letzten 150 Jahre zu
vergegenwärtigen. Spätestens mit Beginn der deutschen Reichsgründung 1871
unter preußischer Vorherrschaft entwickelten sich die vereinigten deutschen
Länder zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten für Großbritannien. Diese
Konkurrenz führte zu Rivalitäten, die in der Gegnerschaft des Ersten Weltkrieges
kulminierten. Die britische Kriegspropaganda degradierte die deutschen Gegner
während des Ersten Weltkrieges sehr erfolgreich zu „Hunnen“ und begann damit,
im Bewusstsein der eigenen Bevölkerung ein dumpfes Gefühl gegenüber allem,
was deutsch ist, zu etablieren. Dass sich dieses Gefühl dann in der Folgezeit
verfestigte und unterschwellig bis heute
nachklingt, dazu hat Deutschland selbst sehr tatkräftig beigetragen. Alle
Ängste, Befüchtungen und negativen Vorurteile der Briten gegenüber
Deutschland wurden nachhaltig bestätigt und verstärkt durch die grundlosen
deutschen Luftangriffen zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, die allein das
Niederringen Großbritanniens zum Ziel hatten. Es sollte daher niemanden
wundern, dass die Briten mit Stolz auf die Zeit zurückblicken, als sie der
deutschen Bedrohung durch den Schulterschluss der ganzen britischen Nation
erfolgreich widerstanden haben, und dass sie diesen Geist selbstbewusst an
kommende Generationen weitergeben. Es bleibt dabei nicht aus, dass
Deutschland in diesem Zusammenhang notwendigweise eine spezifische Rolle
zugewiesen wird. Nun haben sich aber die politischen und gesellschaftlichen
Verhältnisse in Deutschland in den zurückliegenden Jahrzehnten in vielerlei
Hinsicht zum Besseren gewandelt. Das ist auch den Briten nicht verborgen
geblieben, denn schließlich haben sie mit zu dieser positiven Entwicklung
beigetragen. Dass Deutschland sich mitunter gar zu einem europäischen
Musterknaben entwickelte, passt allerdings nicht lückenlos in das überkommene
Gesamtbild der Briten. Zudem werden die unübersehbaren wirtschaftlichen
Erfolge Deutschlands nicht nur auf britische Art und Weise verhalten
bewundert, sie wecken auch alte Ängste vor einer allzu großen deutschen
Dominanz. Da die Wirtschaftskraft eines Landes sich automatisch auf dessen
politischen Einfluss auswirkt, muss Großbritannien die wirtschaftliche
Entwicklung in Deutschland zwangsläufig als eine ständige Herausforderung für
die eigene Rolle in Europa betrachten. Großbritannien ist von seinem
geschichtlichen Verständnis her eine Nation, die voranschreiten und
führen will. Es hat nie in das britische Selbstverständnis gepasst, sich als
Juniorpartner einer anderen Nation zu sehen, und schon gar nicht gegenüber
Deutschland! Es ist eine Binsenwahrheit, dass es in jedem Land
unterschiedliche politische Strömungen gibt. Darunter sind auch immer die
sogenannten Hardliner.
In Großbritannien widerstrebt es insbesondere einem harten Kern von
eingefleischten Traditionalisten, in das politische System der EU hineingezwängt
zu werden, das von Deutschland aufgrund der eigenen Geschichte favorisiert
wird und das ihrer Meinung nach von Deutschland wirtschaftlich dominiert
wird. Dieser harte Kern von britischen Traditionalisten scheint einen nicht
unbedeutenden Einfluss auf die britische Boulevardpresse zu haben, über die
die Meinung breiter Bevölkerungsschichten über Jahrzehnte mit geformt wurde.
So vermischten sich dann im Laufe der Zeit in den Köpfen der Bevölkerung
traditionalistische Sehnsüchte mit alten Vorurteilen, Halbwahrheiten und
gegenwärtigen sozialen Probleme und Unzufriedenheiten. Angereichert durch die
harten Fakten der wirtschaftlichen und politischen Realität führte dies dann
im Zuge des Referendums und der Brexit-Verhandlungen zu dem emotionalen
gesellschaftlichen Gesamtprozess, der die britische Gesellschaft zurzeit vor
sich hertreibt und weiter spaltet. Die Auswirkungen der politischen und wirtschaftlichen
Entwicklungen in Großbritannien sind zu bedeutsam, als dass Deutschland sie
einfach ignorieren könnte. Deshalb sollte hier die breite Öffentlichkeit
besser verstehen, in welcher Weise Deutschland diesen Prozess beeinflusst.
Die Deutschen haben die Briten immer als warmherzige, offene und
gastfreundliche Menschen erlebt, und es würde ihnen wohl nicht in den Sinn
kommen, dass diese Briten eine Unterscheidung treffen könnten zwischen ihnen
als deutsche Einzelpersonen auf der einen Seite und ihrem potentiell
dominanten Staat und ihrer Regierung auf der anderen Seite. Neil MacGregor, der ehemalige Direktor des British Museum und Gründungsdirektor des neuen Humbold-Forums in
Berlin, sagte einmal, Deutschland sei von einem schrecklichen pro-britischen
Gefühl durchdrungen (“Germany is
steeped in a terrible pro-British feeling.”). Dieses allgegenwärtige
pro-britische Gefühl scheint ein weiterer Grund zu sein, der viele Deutsche
daran hindert, die Situation in Großbritannien vorbehaltlos zu verstehen. Ich frage mich allerdings gelegentlich, ob die breite britische
Öffentlichkeit sich der Intensität dieses pro-britischen Gefühls der
Deutschen je ansatzweise bewußt war. Rainer Triller - Dezember 2018 |
www.satirebonn.com